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AutorenbildJoerg Nicht

Verflixte Algorithmen?


Seit ein paar Wochen ist die Timeline auf Instagram nicht mehr chronologisch, sondern algorithmenbasiert. Die Auswahl von Inhalten erfolgt nach Relevanzkriterien, die den Usern nicht näher bekannt sind. Um Vor- und Nachteile dieser Veränderung diskutieren zu können, schlage ich vor, zwischen algorithmenbasierter und kuratierter Inhaltsauswahl zu unterscheiden.

In der F.A.Z. vom 22.08.2016 schreibt Adrian Daub darüber, wie Smartphone-Apps eine Wirklichkeit konstruieren, die der „Erfahrungswelt lebensfremder Programmierer“ entspringt. Je weiter man sich vom Habitat dieser Programmierer entferne, desto mehr klaffe eine Lücke zwischen den Empfehlungen der Apps und den Orten, die tatsächlich von Einheimischen aufgesucht werden. Viele der Restaurants, die bei Einheimischen beliebt sind, seien gar nicht in den einschlägigen Apps gelistet. Daub knüpft daran die Kritik, dass die Programmierer aus dem Silicon Valley im Prinzip nur das reproduzieren, was sie in San Francisco vorfinden. Alles, was es dort nicht gebe, sei auch an anderen Orten nicht zu finden. Nur die großen Handels- und Gastronomieketten könnten diese Vorauswahl korrigieren, indem sie für ihre scheinbar entlegenen Filialen Werbung schalten.

Abgetaucht

Für Daub besteht der „Fluch des Algorithmus“ darin, dass man nur das aus einer App herausbekommt, was man in sie an Wünschen, Überzeugungen und Informationen hineinsteckt. Die Algorithmen, die wir aus verschiedenen Sozialen Netzwerken kennen, folgen dem Prinzip, dass wir das mögen, was uns ähnelt: Ich befreunde mich mit Menschen, die gern Spiegeleier essen, weil ich selbst Spiegeleier mag. Gleich und gleich gesellt sich gern, heißt es oft. In der Vorurteilsforschung ist diese Verhaltensweise verhältnismäßig gut belegt und wird als Similaritäts-Attraktions-Hypothese bezeichnet. Der Mathematiker Christian Rudder illustriert sie am Beispiel eines Datingportals. Die Daten für die USA zeigen, dass „weiße“ Frauen und Männer andere „weiße“ Frauen und Männer attraktiver finden als „schwarze“. Jedoch gibt es Unterschiede in der Bewertung der einzelnen Ethnien, denn Weiße werden auch von Andersfarbigen für attraktiver gehalten. Mit anderen Worten: Die Zu- bzw. Abneigungen sind nicht reziprok.

Wenn Programmierer Soziale Netzwerke entwerfen und unsere Präferenzen prognostizieren, scheinen sie davon auszugehen, dass die soziale Welt allein nach dem Prinzip „Gleich und gleich gesellt sich gern“ funktioniert. Wenn vorhergesagt werden soll, was für mich wichtig ist und mir gefällt, sprich: was mir der Algorithmus eines Sozialen Netzwerks wie Facebook anzeigt, dann lautet das oberste Gebot: Es muss so ähnlich sein wie das, was mich bislang interessiert hat.

Algorithmenbasierte Auswahl

Vorauswahlen und Filter sollen die alltägliche Suche im Netz erleichtern und die Komplexität Sozialer Netzwerke für uns reduzieren. Im Prinzip ist das eine schöne Sache. Wir würden sonst quasi von der Fülle des Materials erschlagen. Es kursieren einfach zu viele Fingernägeltutorials im Netz.

Ein Nachteil an der Vorauswahl ist, dass man sie als Nutzer weder steuern kann noch ihre Kriterien bestimmt. Entscheidend ist vielmehr das bislang gezeigte Nutzungsverhalten. Das heißt dann auch, dass man bestimmte Inhalte gar nicht erst angezeigt bekommt, weil man sich vorher nicht mit ihnen beschäftigt hat. Bei Facebook ist dieser Schematismus wohl am offensichtlichsten: Wer immer nur Hundevideos schaut und nun gern mal ein Katzenvideo sehen möchte, muss danach aktiv suchen. Ich muss also schon wissen, wonach ich suche. Problematisch daran ist, dass ich so kaum auf etwas Neues stoßen werde – etwas, das ich noch nicht kenne und wonach ich auch nicht gesucht habe. Im Falle von Restaurants und Geschäften, die mir nicht in einer App angezeigt werden, ist es fast noch einfach: Ich muss nur hinaus auf die Straße und in einen Laden gehen, um etwas zu entdecken.

Kuratierte Auswahl

Inhalte aufzufinden war im dezentral organisierten Internet schon immer ein Problem. Das Filtern von Suchergebnissen mithilfe eines Suchalgorithmus war der große Vorteil, den Google gegenüber früheren Suchen bot, die einem alles Mögliche zum eingegebenen Stichwort zeigten. Zur Orientierung gab es damals noch thematische Listen, die Suchende zu interessanten Seiten führen sollten. Yahoo war einst bekannt dafür.

Die Zusammenstellung von Listen ähnelt der Arbeit einer Kuratorin, die Inhalte auswählt – idealerweise fachkundig und nach Maßgabe transparenter Kriterien. Wir kennen Kuratoren zum Beispiel aus Museen, wo sie für eine Ausstellung zur Geschichte der Maniküre thematisch einschlägige Bilder auswählen könnten. Wer eine solche Ausstellung besucht, kann dann das entdecken, was die Kuratoren ausgewählt haben. Erläutert wird ihre Auswahl im Ausstellungskatalog.

Trotz der offensichtlichen Vorzüge hat die kuratierte Auswahl mindestens zwei große Nachteile: Erstens sind Kuratoren auch nur Menschen, die nicht alles berücksichtigen können, was de facto vorhanden und vielleicht ausstellungswürdig ist. Zweitens sind die Auswahlkriterien von Kuratoren subjektiv: Was sie auswählen, wird bestimmt durch die Grenzen ihres Wissens, ihres Geschmacks, der Zeit, die ihnen zur Verfügung steht etc. pp. Vielleicht wählen sie gerade solche Objekte aus, die dem „Massengeschmack“ nicht entsprechen, weil sie die Masse verachten oder erziehen möchten.. Ein Versprechen des Internets bestand darin, eine solche Bevormundung zu überwinden. Was ist daraus geworden?

Der neue Instagram-Algorithmus

Um ermessen zu können, welche Probleme die Programmierer von Instagram zu bewältigen haben, müssen wir uns vor Augen halten, dass täglich mehrere Millionen Fotos und Videos auf der Plattform hochgeladen werden. Zugleich müssen wir fragen, wie diese Datenmengen handhabbar gemacht werden können für den einzelnen Nutzer. Wie löst Instagram diese Probleme? Die Plattform arbeitet gegenwärtig mit vier verschiedenen Strategien.

  1. Mit der Entdecken-Seite setzt Instagram auf eine personalisierte und algorithmenbasierte Auswahl. Was mir gefallen und für mich interessant sein könnte, wird auf Basis meiner bisherigen Wahlentscheidungen und aufgrund von Accounts, denen ich folge, ausgewählt. Dieser Algorithmus wurde Ende März 2014 eingeführt und ersetzte die „Popular Page“, die Fotos im Prinzip nach ihrer „Beliebtheit“ (u.a. der Anzahl der Likes) sortierte.

  2. Instagram agiert selbst als Kurator, wählt Inhalte und Accounts aus, stellt sie auf den eigenen Seiten vor und schlägt sie anderen Nutzern vor. Zwischen September 2012 und Juni 2014 waren bestimmte Accounts praktisch in Rotation auf einer weitgehend statischen Vorschlagsliste zu finden, die große Bedeutung hatte. Danach wurde diese Liste dynamischer.

  3. Jeder Nutzer kann innerhalb der App nach Stichworten, Accounts oder Orten suchen. Man kann also durchaus auf eigene Faust etwas Neues entdecken. Allerdings sind mit dieser Suche keine komplexeren Anfragen möglich.

  4. Instagram geht seit einigen Wochen einen neuen Weg und trifft eine Auswahl von Inhalten in der Timeline der Nutzer. Bisher wurden die Postings der abonnierten Accounts dort chronologisch angezeigt. Nun ist die Timeline keine Zeitleiste mehr, sondern eine Abfolge ausgewählter Bilder. Instagram greift hier mithilfe eines Algorithmus ein, der eine Sortierung vornimmt, deren Kriterien die Nutzer nicht kennen. Behauptet wird, die Sortierung erfolge „nach Relevanz“. Allerdings ist unklar, was damit gemeint ist. Wissen die App und ihre Programmierer besser als die Nutzer, was die Nutzer sehen möchten und was für sie wichtig ist?

Mein Instagramstream erscheint mir momentan als großes Durcheinander. Warum erscheint ein bestimmtes Bild, das vor fünfzig Minuten gepostet wurde, als erstes in der „Timeline“, aber das vor fünf Minuten gepostete Bild von @melbondo, der gerade neben mir sitzt, erst nach zwanzig anderen Bildern? Mir gab jemand einen Tipp, wie ich damit umgehen könne: Folge einfach weniger Accounts! Dann kannst du in kürzerer Zeit alle Fotos seit dem letzten Anschauen des Fotostreams problemlos aufrufen. Ist das der Zweck des neuen Algorithmus?

Eine weitere Neuerung auf Instagram besteht darin, als letzten Kommentar unter einem Foto den Kommentar eines Accounts anzuzeigen, dem man selbst folgt. Wenn ich andere Kommentare sehen will, muss ich mir also die erweiterte Kommentarliste anzeigen lassen. In der Alltagskommunikation wäre das einigermaßen absurd: Man stelle sich vor, dass einem auf einer Party zwar alle etwas sagen können, aber man ohne aktives Nachfragen nur das zu hören bekommt, was die Leute sagen, mit denen man schon befreundet ist.

Und schließlich ist noch eine andere Instagram-Innovation zu erwähnen, die einige Tage zu sehen war, aber inzwischen wieder verschwunden ist: Bei den Likes werden mir zwei Accounts angezeigt, die mein Bild gelikt haben, und erst danach die Gesamtzahl der Likes. Auch hier kommt man ins Grübeln, welchen Sinn eine solche Anzeige hat. Soll sie mich zu mehr Likes animieren?

Und nun?

Instagram verändert die Sichtbarkeit von Fotos mithilfe von Algorithmen, die von den Nutzern nicht durchschaut werden und vermutlich auch nicht zu durchschauen sind, weil sie permanent verändert werden. Es wäre allerdings naiv zu glauben, die Abschaffung des neuen „Timeline“-Algorithmus würde alle Probleme lösen. Denn in einem Sozialen Netzwerk wie Instagram dominieren die Algorithmen, die von Programmierern erschaffen wurden. Man kann sich dem nur entziehen, wenn man sich – ähnlich wie Neo in dem Film „Matrix“ – außerhalb des Netzwerkes bewegt. Doch vielleicht ist nicht einmal das möglich.

Twitter, dessen Ende man schon eine ganze Weile ausruft, hat eine Lösung für die Timeline gefunden, die mir gut gefällt: Zunächst werden die neuesten Einträge chronologisch gezeigt, dann folgen – visuell abgesetzt – Einträge unter der Rubrik „Während du weg warst...“, die nach „Bedeutung“ geordnet sind. Auch Twitter sortiert also nach Relevanz, aber vergleichsweise dezent und transparent.

Solange die Algorithmen, die hinter einer App oder Plattform stecken, so bedeutsam sind, bleibt mir nur die Möglichkeit, vorsichtig zu sein: Bloß keine Fotos von lackierten Fingernägeln antippen, sonst bekomme ich womöglich die nächsten Wochen nur noch solche Fotos auf der „Entdecken-Seite“ angezeigt. Ich beobachte an mir eine unfreiwillige Selbstkontrolle hinsichtlich dessen, was ich mir anschaue und was ich like.

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