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AutorenbildJoerg Nicht

Auf der Baltic-Route nach Finnland

Den Sommerurlaub verbringen wir fast immer in Finnland. Über die Jahre sind wir die verschiedensten Routen gefahren: Mit der Fähre von Rostock nach Helsinki (1998), mit Zug und Fähre von Saßnitz nach Trelleborg und dann weiter nach Stockholm und Lappland und zurück nach Helsinki. Oder mit dem Auto über Schweden und von Stockholm nach Turku mit der Fähre. Die schnellste Variante ist freilich, mit dem Flugzeug nach Helsinki zu fliegen.

Doch warum nicht mal einen anderen Weg ausprobieren und mit dem Auto über Polen und das Baltikum nach Finnland fahren? Diese Frage haben wir uns schon länger gestellt. Ich war zwar schon in Estland, aber noch nie Litauen und Lettland. Das könnte doch interessant werden.


Der Navigations-App zufolge führt die schnellste Strecke von Berlin über Warschau, Kaunas und Riga in rund 18 Stunden nach Tallinn, die estnische Hauptstadt. Zu fahren sind rund 1.600 Kilometer. In zwei Tagen wäre das zu schaffen. Doch 9 Stunden Autofahrt sind nicht das, was wir uns unter einer entspannten Anreise vorstellen. 300 Kilometer als Maximum sind ein guter Richtwert. Es bleibt dann Zeit genug für den einen oder anderen Abstecher und wir sitzen nicht den ganzen Tag im Auto.


Tag 1: Von Berlin nach Toruń (450 Kilometer)


An einem Samstag im Juli geht es los. Da wir durch Polen nicht auf der Autobahn fahren möchten, wählen wir eine Route etwas nördlich der Achse Poznań (Posen) –Warschau. Etappenziel ist Toruń (Thorn), eine Stadt, von der ich bislang nur gehört habe. Wie ich lerne, hat Kopernikus hier gelebt und gewirkt. Mit 450 Kilometer ist die Etappe deutlich über den genannten 300 Kilometern. Aber die Hotelauswahl der Stadt ist etwas größer als in den anderen Orten. Und wir buchen am Abend vor der Reise.


Die Route: Los geht es über die A11 Richtung Szczecin (Stettin). Mit uns sind eine Menge Ostsee-Urlauber unterwegs, die auf die A20 abbiegen. Grenzkontrollen finden keine statt. Von der S3, wie die Straße nun heißt, biegen wir auf die S10/DK10 ab. Das S bezeichnet die Fernverkehrsstraßen, die vierspurig zu Schnellstraßen ausgebaut und in sehr gutem Zustand sind.


Städte wie Piła (Schneidemühl) oder Bydgoszcz (Bromberg), die auf unserer Route liegen, haben eine Umgehungsstraße erhalten. Das Tankstellennetz ist dicht. An die Geschwindigkeitsbegrenzung halten sich nicht alle Fahrer:innen, was schnell lästig werden kann. Das ist der am wenigsten entspannteste Aspekt der Reise. Wir bleiben auf der S10/D10 bis Toruń.


In Toruń sind viele Gebäuden der norddeutschen Backsteingotik zu finden, vor allem um den Markt herum, wo auch ein Denkmal an Kopernikus erinnert. Die Stadt ist auch bekannt für Toruńskie pierniki, ein Lebkuchengebäck, das im Deutschen auch Thorner Katrinchen genannt wurde. Damit kann man sich in entsprechenden Geschäften versorgen. An diesem Samstagabend herrscht ein dichtes Gedränge im Zentrum. Empfehlenswert ist der kurze Spaziergang an die Weichsel mit Blick auf die Józef-Piłsudski-Brücke.


Mein Fototipp: Die Altstadt bietet tolle Fotomöglichkeiten. Mich hat am meisten die Stadtmauer fasziniert, die teilweise erhalten ist und zu der auch Stadttore gehören. In der blauen Stunde kann man stimmungsvolle Bilder aufnehmen.

Gasse an der Stadtmauer von Torun während der blauen Stunde
Toruń

Tag 2: Von Toruń nach Mikołajki (270 Kilometer)


Je weiter wir nach Osten kommen, desto mehr Störche sehen wir. In vielen Dörfern gibt es mindestens zwei Storchenester auf den Strommasten aus Stahl oder Beton. Auf der Fahrt haben wir auch immer wieder schöne Ausblicke auf die hügelige Landschaft.

Die Route: Kurz nach der Ortsausfahrt kreuzen wir die A1, die nach Gdańsk (Danzig) führt und folgen der DK15 und dann der DK16 bis Olsztyn (Allenstein), wo wir einen Zwischenstopp einlegen. Auf der DK16 bleiben wir bis Mikołajki (Nikolaiken).


Zwischenstopp: Olsztyn hat eine hübsche Altstadt; auf dem Marktplatz flanieren Menschen in der Sommersonne, essen Eis oder Kuchen. Ich probiere beides, besonders den Kuchen kann ich empfehlen.


Im Reiseführer lese ich, das Mikolajki das touristische Zentrum der Masuren ist, was in diesem Fall heißt, dass auf einer neu gebauten Uferpromenade an einem Sonntagabend tausende Menschen spazieren. Naja, vielleicht sind es nicht tausende, aber doch ziemlich viele. Eine Fußgängerbrücke wird bunt beleuchtet und Glückspielautomaten wie auf der Pier in Brighton stehen herum. Es ist jedenfalls nicht das beschauliche Masuren, das ich erwartet hatte. Wer Ruhe sucht, sollte sie nicht in Mikołajki suchen. Möglicherweise fällt das Örtchen im Spätherbst in seine Beschaulichkeit zurück.


Mein Fototipp: Am meisten hat mich die Fußgängerbrücke fasziniert, die illuminiert wird. In der Nähe der Brücke sind auch jede Menge Souvenirshops. Ich habe mich auf die Spiegelung der Brücke im Wasser konzentriert, um eine Erinnerung zu haben an diesen Ort mit zu viel Trubel.


Spiegelung einer Brücke im Wasser
Spiegelung

Tag 3: Von Mikołajki nach Suwałki (130 Kilometer)


War es am Vortag heiß, so ist es am nächsten Tag noch heißer – bei 30 Grad soll die Tour nicht so lang sein. Eine Nebenstraße führt uns von Mikołajki zunächst nach Ryn – eine schöne, etwas holprige Allee. In Ryn steht eine alte Ordensburg, unweit eines Sees, was sich in Masuren irgendwie von selbst versteht.


Weiter geht die Fahrt. Wir halten irgendwo an einem Supermarkt. Während wir an der Kasse anstehen, schaue ich auf die Karte und entdecke eine mögliche Badestelle. Ein Waldweg führt dorthin. Zwei Jungen baden dort. Dann kommt noch eine Mutter mit einem Kind. Vielleicht habe ich mir so die Masuren vorgestellt.


Die Route: Wer keinen Abstecher nach Ryn machen möchte, fährt von Mikołajki die DK16 bis Elk, dann auf die S61/DK16, die aber teilweise noch ausgebaut wird. In Kalinowo biegen wir auf die 661 ab und folgen ihr bis Cimochy. Dann folgt noch ein kurzer Abschnitt auf der 655. Bei Raczki fahren wir wieder auf die ausgebaute S61 bis Suwałki.


Wir fahren weiter in die Nähe von Suwałki. Das Hotel liegt etwas abgelegen an einem See.


Mein Fototipp: In der Nähe von Suwałki liegt am Wigry-See ein großes Kloster, malerisch umgeben von Wasser. Von einem kleinen Turm neben den Häusern, die heute als Hotel genutzt werden, hat man einen schönen Ausblick. Mich faszinieren die Dächer und deren Strukturen. Um das Kloster von der gegenüberliegenden Seite des Sees zu fotografieren (mit Spiegelung), muss man einen bezahlten Badestrand besuchen.


Dächer des Klosters
Dächer

Tag 4: Von Suwałki nach Vilnius (200 Kilometer)


Die Gegen um Suwałki im Verwaltungsbezirk Podlachien scheint sehr von der Osterweiterung der EU zu profitieren: Überall wird gebaut, auch an der Infrastruktur. Bekannt geworden ist dieser Landstrich neuerdings wegen der geringen Entfernung zwischen dem Kaliningrader Gebiet und Belarus. Die Rede ist von der Suwalki-Lücke.


Die Route: Um nach Vilnius zu kommen, fahren wir nicht die Transitroute der Via Baltica, sondern nehmen die 653 und dann die DK16 über die Grenze nach Litauen. Der Verkehr nimmt etwas ab und es wird disziplinierter als vorher gefahren.


Vilnius bietet einen architektonischen Mix verschiedener Jahrhunderte. Litauen war einst ein großes und bedeutendes Reich. Die Touristeninformation hat eine Faltkarte erstellt mit Fotomöglichkeiten. Eine davon ist diese alte Straße mit Kopfsteinpflaster. Auf der Faltkarte finden sich auch Tipps, zu welcher Tageszeit das Licht für Fotos optimal ist.


Obwohl nicht viele (internationale) Touristen in der Stadt sind, ist das georgische Restaurant, das wir uns ausgesucht haben, voll. Wir müssten warten, sagt uns der Kellner. Das Restaurant sieht gut aus, hat gute Bewertungen bekommen und wir entscheiden uns dafür, zu warten. Inzwischen kommen zwei stark geschminkte Damen über 60 in Sommerkleidern aus dem Gastraum und gehen gemeinsam auf die Toilette. Nach zwei Minuten kommt der Kellner und führt uns in den Innenhof. Dort sitzen drei Gruppen an jeweils einem Tisch. Sie alle sprechen Russisch. Und auch die Damen gehören zu einer dieser Gesellschaften. Deren Tische sind voll und der Kellner bringt immer neue Speisen. Das ist jenes Supra, das Festessen, von dem ich in einem georgischen Kochbuch gelesen habe.


Mein Fototipp: Am südlichen Ende der Sv. Dvasios Gatvé bekommt man einen Eindruck, wie es in der Stadt früher ausgesehen haben könnte.


Alte Gasse in Vilnius
Vilnius, Sv. Dvasios Gatvé

Tag 5: Von Vilnius nach Riga (300 Kilometer)


Ab jetzt geht es praktisch nur nach Norden. Während sich Vilnius fast auf der Höhe von Kaliningrad, dem früheren Königsberg, befindet, liegen die beiden anderen baltischen Hauptstädte Riga und Tallinn weiter im Norden. Dass die Tage dadurch länger werden, ist deutlich zu merken.


Die Route: Das Schnellstraßensystem in Vilnius verlangt etwas Navigationsgeschick. Zunächst fahren wir auf der A2/E272 Richtung Panevezys und dann auf die A10/E67 (Via Baltica) bis zur litauisch-lettischen Grenze, wo die Europastraße zur A7 wird.


Die Fahrt ist unspektakulär, die Straße verläuft geradeaus durch flaches Land. Aber es ist heiß, ein Eis zwischendurch schmilzt praktisch in der Hand. Kurz hinter der Grenze hält uns ein Uniformierter an und schaut in den Kofferraum. Als wir uns Riga nähern, zieht es sich zu. Schwarze Wolken hängen über der Stadt und ein heftiges Gewitter entlädt sich, während wir zum Hotel fahren. Parkplätze in Hotelnähe gibt es genug. Der Regen scheint den Staub aus der Stadt gewaschen zu haben, die Luft ist klar und das Licht strahlend. Riga ist bekannt für Jugendstil-Architektur.


Mein Fototipp: Für Architekturfreunde ist Riga wegen der vielen Jugendstil-Bauten interessant. Eine prachtvolle Treppe befindet sich im Gebäude des Jugendstil-Museums „Rigaer Jugendstilzentrum“ Alberta Iela 12 und kann kostenlos besichtigt werden.


Wendeltreppe
Riga, Jugendstilzentrum

Tag 6: Von Riga nach Tallinn (315 Kilometer)


Riga zieht sich nach Norden etwas hin, aber bald lässt der Verkehr nach. Einige Kilometer hinter der lettisch-estnischen Grenze hält uns ein Polizist an. Er schaut kurz auf meinen Ausweis. Das war’s auch schon. Weiter geht die Fahrt. Wir stoppen kurz in Pärnu, umrunden einen Mehrzweckbau aus sowjetischer Zeit.


Die Route: Die Strecke nach Tallinn führt zunächst entlang der Ostseeküste auf der Via Baltica (A1, später 4). Eine Touristenroute führt zum Teil direkt am Ufer entlang und bietet Abwechslung zur Via Baltica.


Tallinn hat eine kompakte Altstadt mit großem Marktplatz, gepflasterten Straßen und Gassen. Das Preisniveau hat sich in den letzten Jahren an Finnland angeglichen. Helsinki ist schließlich nur eine kurze Fährfahrt entfernt. Ihren Charme hat die Stadt aber behalten.


Mein Fototipp: Früh aufstehen lohnt sich, wenngleich die Sonne im Sommer sehr früh aufgeht (entsprechend viele Nachtschwärmer:innen sind morgens noch unterwegs). Vom Schlossberg hat man eine sehr gute Aussicht über die Dächer von Tallinn.


Gassen von Tallin, einzelne Person läuft in der Morgensonne die Straße entlang
Tallinn, Blick vom Schlossberg

Tag 7: Von Tallinn nach Helsinki


Von Tallinn fahren mehrmals täglich Fähren nach Helsinki. Die Überfahrt ist ein Katzensprung, sie dauert nur zwei Stunden. Wir bleiben eine Nacht in Helsinki, um uns mit Freunden zu treffen. Dann geht es weiter ins Sommerhaus in der Nähe von Mikkeli.

Wer sehr diszipliniert ist, fährt die Route bis Tallinn vermutlich auch in zwei Tagen (auf der Autobahn, ohne Abstecher nach Vilnius). Vielleicht schafft man dann auch noch die Abendfähre. Fährverbindungen werden u. a. von Tallink angeboten. Der Hafen ist fußläufig vom Zentrum erreichbar. Vom Hafen in Helsinki fahren Straßenbahnen ins Zentrum der finnischen Hauptstadt.


Mein Fototipp: Ein besonders Motiv ist die Treppe auf der Rückseite des Amos Rex, eines Museums. Am Mittag hinterlässt die Sonne ein besonderes Schattenspiel.


Treppe an der Außenseite der Fassade zwischen zwei Türen
Helsinki, Amos Rex-Gebäude

Uns hat die einwöchige Tour so gut gefallen, dass wir wieder über Polen und durchs Baltikum nach Finnland fahren möchten, uns aber noch etwas mehr Zeit nehmen werden für Litauen und Lettland.

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