Von Sozialen Netzwerken zu Sozialen Medien
Eine Plattform wie Substack lerne ich am besten kennen, wenn ich aktiv bin, dachte ich mir und schrieb letzte Woche meinen ersten Text. Auf den Text bekam ich sogar Feedback. Vielen Dank dafür! Das hatte ich nicht erwartet, zugleich motiviert mich das sehr.
In dem Text hatte ich darüber geschrieben, dass das "goldene Posting-Zeitalter" zu Ende ist. Damit meine ich, dass Soziale Netzwerke ihren Charakter verändert haben und zusehends zu Sozialen Medien geworden sind. Im Folgenden geht es mir um diese Unterscheidung zwischen Sozialen Netzwerken und Sozialen Medien.
Welches das erste Soziale Netzwerk war, das einen solchen Namen verdient, ist umstritten. Und ich möchte nicht allzu tief in die Geschichte einsteigen. Gern könnt Ihr mir in den Kommentaren schreiben, welches Euer erstes Soziales Netzwerk war.
Um die Jahrtausendwende wurde vom Web 2.0 gesprochen. Entscheidend für die Begriffsbestimmung war, dass die Nutzer:innen des Internets nun nicht mehr nur konsumieren, sondern auch eigene Inhalte produzieren. Diese Inhalte können seitdem auf entsprechenden Plattformen geteilt werden: Dienste wie Livejournal und Blogger (beide gingen 1999 online) ermöglichten das einfache Publizieren von Texten. MySpace (2003) war ein bunt-chaotisches Netzwerk, auf dem man Musik vorstellen konnte. Über Xing (2003) und LinkedIn (2003) ließen sich berufliche Kontakte pflegen, Flickr (2004) war ein digitales Bilderalbum und mit YouTube (2005) wurde die erste Video-Plattform geschaffen.
Aber sind das alles Soziale Netzwerke oder sind es vielmehr Soziale Medien? Um die Frage zu beantworten, gehe ich einen Schritt zurück und frage, was ein Netzwerk ist. Ein Netzwerk besteht aus Knoten und Kanten, also Beziehungen oder Verbindungen zwischen Knoten. So lassen sich viele Strukturen beschreiben, die wir in der der Natur finden oder in der Gesellschaft. Beim Autobahnnetz sind die Autobahnkreuze die Knoten und Straßen die Kanten. Das Internet ist im Sinne eines Netzwerks technisch konstruiert. Zwischen Knoten bestehen Beziehungen, wobei die Besonderheit des Internets darin besteht, dass es von Anfang an dezentral konstruiert wurde.
Beziehungen zwischen Menschen lassen sich ebenfalls aus einer Netzwerkperspektive beschreiben, wenngleich die Beziehungen ganz unterschiedliche Qualitäten haben können. Mit einer Person bin ich befreundet, mit einer anderen spreche ich über das Wetter. Technisch gesehen bereitet das Probleme, weil die qualitative Umsetzung in einem Netzwerk Definitionen erfordert, die wir so in dem Leben, dass wir offline führen, nicht treffen. Ich begegne nicht einer Person X und sage: Jetzt sind wir befreundet. Genau das tun wir aber, wenn wir eine Freundschaftsanfrage auf Facebook stellen.
Auf Autobahnen fahren nur Kraftfahrzeuge. Jede andere Nutzung bringt das System durcheinander. Soziale Netzwerke sind viel facettenreicher und dementsprechend komplexer. Doch in der Logik der Internetplattformen liegt es, soziale Beziehungen eindeutig zu definieren und dadurch in ihrer Komplexität zu reduzieren.
Der große Game-Changier war wohl Facebook, weil es das erfolgreichste Netzwerk dieser frühen Ära war. Und es hat bis heute überlebt, vielleicht weil der Grundgedanke so simpel war: Die Suche nach den Kommilitonen musste nicht mehr mithilfe eines Jahrgangsbuches erfolgen, in dem alle Studierenden verzeichnet sind, sondern die Studierenden konnten sich mittels einer Website finden. Facebook respektive Mark Zuckerberg löste damit das Problem, dass ein Universitätscampus schnell unübersichtlich und anonym sein kann. Facebook war vielleicht auch deshalb so erfolgreich, weil es zunächst etwas kopierte, das in der Offline-Welt schon vorhanden war. Jeder potenzielle Nutzer kannte ein Buch in dieser Art und konnte sich etwas darunter vorstellen, als es im Online-Medium kopiert wurde. Facebook zeichnete sich aber darüber hinaus dadurch aus, dass Beziehungen möglich wurden. Zudem konnte die Beliebtheit gemessen werden: Wer viele Freunde hat, ist beliebter als der, der wenige Freunde hat.
Wer einmal eine High-School- oder College-Serie gesehen hat, kennt diesen Beliebtheitswettbewerb. Nehmen wir etwa die Fernsehserie "Glee". Dabei geht es um einen Art Musik-Club, in dem sich die Unbeliebten der Schule wiederfinden – und sie wissen um ihre Unbeliebtheit. Die Unbeliebten singen und tanzen, während die beliebten Jungs Sport treiben und die beliebten Mädchen Cheerleader sind, die die Jungs anfeuern. Diese Ordnung gerät durcheinander, was dramaturgischen Stoff für allerlei Verwicklungen und verschiedene Variationen dieses Beziehungsdreiecks (und für etwas Sozialkritik) bietet.
Was ich mit dem Beispiel sagen will: Die Frage nach der Beliebtheit ist keine Erfindung von Zuckerberg und Facebook, sondern ist tief eingeschrieben (etwa in die amerikanische Kultur). Deshalb ist es auch nicht befremdlich, wenn die Anzahl der Freunde in einem Profil angezeigt wird. Befremdlich war es für mich lange Zeit, weil die Forschung zu dem Themenfeld sagt, dass jeder Mensch zwischen 10 und 15 Freunden hat. Auf Facebook schien die Zahl eher gegen Unendlich zu gehen.
Sehen wir es aber erst einmal positiv: Mit Facebook und den anderen thematischen Netzwerken konnten sich Menschen verbinden, Beziehungen aufbauen und Beziehungen pflegen. Eine Fotocommunity wie Flickr ermöglichte die Präsentation von Fotos und den gegenseitigen Austausch.
Wenn man gesehen werden will, muss man auch etwas posten. Und es wurde eine Menge gepostet. Viele Ältere erinnern sich noch daran, dass „früher“ auf Facebook die Freunde viel mehr gepostet haben. Heute wird nur noch zum Geburtstag gratuliert. Aber, werden vielleicht einige einwenden, heute wird doch mehr denn je gepostet. Doch welche User posten heutzutage? Ist das Posten von Videos in gleicher Weise ein Massenphänomen geworden wie das Posten von Fotos?
Ich schlage vor, drei Phasen zu unterscheiden, in denen sich Soziale Netzwerke zu Sozialen Medien entwickelt haben.
Phase 1: Die Expansion Sozialer Netzwerke
Ihr Erfolg wurde den Sozialen Netzwerken zum Verhängnis, könnte man sagen. Je größer ein Netzwerk wird, um so wichtiger wird es für die Einzelnen, dabei zu sein. Sonst könnte man etwas verpassen. Das bedeutet aber zugleich: Wenn jeder sich dort vernetzt, Inhalte teilt und kommuniziert, wird es schnell unübersichtlich. Zugleich wurden auch die Netzwerke der einzelnen Personen in gewissem Sinne zu groß. Ich kann, wie oben angedeutet, nicht nur 10, sondern 100 oder gar 1000 Freunde haben. Auch das führt zur Unübersichtlichkeit. Hier hat die Phrase, dass aus Freunden Follower werden, vermutlich ihren Ursprung.
Um das Problem der Unübersichtlichkeit zu lösen, führte Facebook 2009 einen Algorithmus ein, der Postings nicht mehr in chronologischer Ordnung zeigte, sondern nach bestimmten Kriterien hervorhob. So wurde die Änderung eines Beziehungsstatus höher bewertet und weiter oben angezeigt. Zudem bekam man als Nutzer Beiträge von Personen angezeigt, die man gar nicht kannte. Ein Effekt des Algorithmus war aber auch, dass er zu steuern erlaubte, welche Werbung den Nutzer:innen gezeigt wird.
Phase 2: Netzwerke als Plattformen für andere Medien
Auf die Möglichkeit, Inhalte und eigene Botschaften in Sozialen Netzwerken zu verbreiten, sind dann auch relativ schnell Medienhäuser und Marken gestoßen. Möglichweise markiert dieser Einstieg von Medien und Marken die Abkehr von Sozialen Netzwerken hin zu Sozialen Medien. Als Instagram startete und die Nutzer ihren Alltag ästhetisierten (mit Retro-Filtern), war es irgendwie undenkbar, dass eine große Marke wie Volkswagen dort ihre Autos präsentierte. Schon allein die Bildästhetik passte nicht dazu, wie Volkswagen seine eigenen Autos inszeniert. Doch das änderte sich schnell und Accounts von Marken und Celebrities begannen zu wachsen und dominierten die Plattformen zusehends.
Phase 3: Das Video-Entertainment
Mit Vine, das von Twitter entwickelt wurde, gab es bereits früh eine Kurzvideo-Plattform, die auf 15 Sekunden beschränkt war. Instagram führte schon früh Videos ein. Warum? Weil man sich ein Video länger ansehen muss als ein Foto. Aber auch, weil in einem Video eine Werbebotschaft besser erzählt werden kann.
Und es gibt noch einen anderen Effekt von Videos auf Sozialen Netzwerken: Sie verringern die Kommunikation. Damit meine ich nicht, dass ein Video weniger Likes oder Kommentare erhält als ein Bild-Posting. Gemeint ist, dass Videos eher rezipiert als produziert werden. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der Aufwand für ein Video (etwa im Vergleich zu einem Foto) einfach zu groß ist.
Videos werden massenhaft angeschaut und geteilt, aber nicht produziert. Die Art und Weise, wie Videos etwa auf TikTok präsentiert werden, erinnert mich an sehr ausgeprägtes Zappen auf privaten Fernsehkanälen. Verschiedenste Genres wechseln sich ab, dazwischen ein Werbeclip. Potenziell kann zwar jeder Nutzer ein Video posten. Und natürlich können alle Nutzer:innen kommentieren und liken. Faktisch posten aber die wenigsten Nutzer:innen Inhalte. Insofern sind TikTok und Instagram nicht (mehr) Soziale Netzwerke, sondern Medien, in denen es um Entertainment geht und darum, Werbung zu verkaufen.
Damit ist nicht gesagt, dass man diese Medien nicht als Soziale Netzwerke für sich nutzen kann. Aber sie sind vor allem sozial durch den Empfehlungsalgorithmus: Welche Inhalte mir vorgeschlagen werden, das hängt auch von meinen Freunden und deren Freunden ab. Diese Art der Vernetzung scheint für die Plattformen allerdings immer weniger wichtig zu sein. Denn welche Kennzahlen werden immer wieder genannt, wenn es um den Erfolg einer Plattform geht? Neben der Anzahl der Nutzer:innen in einem bestimmten Zeitraum ist es die Zeit, die sie auf der Plattform verbringen. Und diese Zeit lässt sich derzeit wohl am besten mit Videos verlängern.
Äh - ich bin wohl noch in Phase 0 hängen geblieben, schreibe eMails und LESE UND KOMMENTIERE Blogs. Tja, Boomer halt. :-D