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AutorenbildJoerg Nicht

Gewöhnliche Geheimnisse – Bilder von William Eggleston im c/o Berlin

Aktualisiert: 6. März 2023

Ich werde oft gefragt, was mich inspiriert. Die Frage auf Anhieb zu beantworten, fällt mir schwer. Ich lasse mich von verschiedensten Dingen inspirieren: von Büchern, Musik, Bildern, von dem, was ich auf der Straße sehe.


Wenn mir das nächste Mal diese Frage gestellt wird, werde ich die Ausstellung „Mystery Of the Ordinary“ von William Eggleston nennen. Sie ist noch bis zum 4. Mai 2023 im c/o Berlin zu sehen. Ich werde die Ausstellung nicht nur nennen, weil Egglestons Farbfotos im Berliner Wintergrau so gut wirken. Die Farbe ist bei Egglestons Fotos zwar entscheidend. Aber es gibt noch mehr Gründe, die Ausstellung zu besuchen.


Im Erdgeschoss, im ersten Raum der Ausstellung, fallen mir zwei Aufnahmen besonders auf: Ein Bild von einem Auto und einem Mann, beide werden leicht verdeckt von einer Stahlkonstruktion. Das Bild ist aus einer leicht erhöhte Kameraperspektive aufgenommen. Es ist gut komponiert und gibt Rätsel auf. Wo geht der Mann hin? Was macht das Auto da? Das zweite Bild ist ein Blick in einen Herd. Nicht mehr oder nicht weniger. Vertraut und doch ungewöhnlich, denn beim Blick in den Herd erwarte ich doch eigentlich etwas, das dort zubereitet wird. Und warum ist der Herd so sauber?


Die beiden Fotos stehen in gewissem Sinne für die titelgebenden Begriffe: das Rätselhafte, Geheimnisvolle einerseits, das Gewöhnliche andererseits. Das Gewöhnliche birgt Geheimnisse, ist rätselhaft. In Egglestons Fotos bleibt immer etwas verborgen, in ihnen bleibt etwas fraglich. Das ist schon in seinen Frühwerken in Schwarz-Weiß so.

Eggleston wendet sich von der (klassischen) Street Photography radikal ab, indem er seit 1969 in Farbe fotografiert. Bis dahin wurde die Farbfotografie – verkürzt gesagt – nur für Werbefotos genutzt, während Street-Fotografen mit Schwarz-Weiß arbeiteten. Eggleston verwendete als erster Künstler das aus der Werbefotografie bekannte Verfahren des Farbstofftransferdrucks. Mit diesem Verfahren konnte er einzelne Farben betonen, ohne die Komplementärfarbe zu verändern. Mit der Farbfotografie und dem Farbstofftransferdruck geht Eggleston noch einen Schritt weiter im Befremden des Vertrauten.


Für die meisten Fotos, die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren sowie in den 1980er Jahren entstanden sind, sind leuchtende Farben typisch. Es sind Blicke in den Gefrierschrank, in Wohnungen, in Diners, auf Menschen, auf Abfälle. Eggleston nimmt uns mit in eine Welt, in der der menschliche Gestaltungswille nicht vorhanden zu sein scheint (eine Dachkonstruktion mit leuchtender Straßenlaterne und Stromleitungen, die an der Wand enden) oder zu eher zweifelhaften Ergebnissen führt (der Hinterkopf einer Frau, die sich die Haare zusammengeklemmt hat). Eggleston zeigt in seinen Bildern das, was wir übersehen, weil es uns allzu vertraut ist, weil wir es oft nebenbei erblicken. Aus diesem Blickwinkel entstehen Bilder mit einer eigenen Poesie.


Da ist eine Szene im Flugzeug. Durch das Fenster scheint die Sonne auf den Klapptisch, auf dem ein gefülltes Glas steht. Eine Hand rührt mit einem Trinkhalm in dem Glas. Glas und Hand werfen Schatten. Oder eine Straßenszene, die auch Edward Hopper hätte malen können: Backsteinhäuser, zwei Autos und ein Mann, der über die Straße läuft.

An der Ausstellung haben mich vor allem zwei Aspekte gefesselt: Erstens beeindruckten mich die Fotos aufgrund der verwendeten Drucktechnik; die Bilder strahlen eine unglaubliche Präsenz aus. Zweitens scheinen die Aufnahmen zeitgemäß, nicht nur weil unzählige Fotografen auf Instagram ähnliche Motive teilen, sondern weil viele Aufnahmen im Stil von Eggleston heute mit einem Smartphone gemacht werden können. Die Szene im Flugzeug ist dafür ein Beispiel. Es braucht eben (nur) den richtigen Blick.


Die gezeigten Serien entstanden Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre in den USA, vor allem in Egglestons Heimat, den Südstaaten. Es ist ein liebevoller Blick auf diesen Teil der USA, der keine politische Agenda verfolgt. Kritik an den Zuständen ist zu erkennen, wird aber nicht explizit programmatisch formuliert. Ein Beispiel: People of Color sind zwar in Egglestons Bildern zu sehen, doch sie scheinen zufällig aufzutauchen.


In der oberen Etage des c/o Berlin wird ein Film gezeigt, in dem Eggleston selbst zu Wort kommt. In einem kleinen Raum sind Fotografien zu sehen, die er in Westberlin vor dem Mauerfall gemacht hat. Ich finde, ihnen fehlt genau die Empathie und Wärme, die seine anderen Fotos auszeichnen. Sie scheinen zu beweisen, dass die besten Fotos oft dort entstehen, wo man sich auskennt, wo man zu Hause ist.


Eggleston verfolgt eine Ästhetisierung des Banalen, sein Interesse gilt dabei dem Unvollkommenen, dem Unschönen, dem Imperfekten. Sozialkritisch ist sein Blick nicht, eine selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner privilegierten Herkunft konnte ich auch nicht erkennen. Gleichwohl haben es die Bilder geschafft, mich mitzunehmen in den unrealisierten amerikanischen Traum.


William Eggleston - Mystery of the Ordinary. c/o Berlin, bis 4. Mai 2023. Der im Steidl Verlag erschienene Katalog kostet 48 Euro (in der Ausstellung 40 Euro).




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